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Strafrechtliche Risiken in der COVID-19-Krise

Zur zunehmenden Bedeutung der kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen

Vor rund 15 Jahren wurde nach langjährigen Vorarbeiten zum 01.01.06 das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz Teil der österreichischen (Straf-)Rechtsordnung. Das VbVG ermöglicht, Unternehmen unmittelbar kriminalstrafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen und sie im Fall ihrer in § 3 VbVG definierten Verantwortlichkeit mit einer Verbandsgeldbuße zu belegen. Trotz anfänglicher Zurückhaltung rückt das VbVG zunehmend in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden, wobei diese Tendenz durch aktuelle Fragestellungen in der COVID-19-Pandemie wohl verstärkt wird.

Das VbVG in Zahlen

Trotz der überschaubaren Anzahl von Verurteilungen von Unternehmen in den letzten Jahren gewinnt das VbVG, wie aktuelle Zahlen der Verfahrenserledigungen zeigen, stetig an Bedeutung: Im Jahr 2018 hat die Staatsanwaltschaft insgesamt 341 VbVG-Verfahren durch Einstellung, Diversion, Strafantrag bzw. Anklage o.ä. enderledigt; 2012 waren es gerade einmal ein Drittel (114). Die geringe Zahl der Verurteilungen im Vergleich zur Vielzahl an Einstellungen überrascht angesichts des den Strafverfolgungsbehörden eingeräumten Verfolgungsermessens nach § 18 VbVG indes nicht: Denn eingestellt werden nicht nur Verfahren, bei denen keine Hinweise einer Verbandsverantwortlichkeit vorliegen, sondern ermöglicht § 18 VbVG eine Einstellung auch dann, wenn eine Sanktionierung angesichts der konkreten Pflichtverletzung, der Folgen der Tat, des Verhaltens des Verbandes nach der Tat und der bereits eingetretenen oder absehbaren rechtlichen Nachteile des Verbandes oder seiner Eigentümer verzichtbar erscheint. Nach unserer Erfahrung sind insbesondere unternehmensinterne Untersuchungen und die Einrichtung bzw. Aktualisierung von Compliance-Systemen zentrale Gründe für ein Vorgehen nach § 18 VbVG.

Anknüpfungspunkte einer Unternehmensstrafbarkeit

Auslöser einer Verbandsverantwortlichkeit kann jede Straftat eines Entscheidungsträgers (das sind insbesondere Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder, u. U. auch leitende Angestellte) oder Mitarbeiter eines Verbandes nach dem österreichischen Kriminalstrafrecht, inklusive Finanzstrafrecht, sein. Im Wirtschaftsstrafrecht kommen insbesondere Vermögensdelikte (z.B. Betrug gemäß §§ 146 ff StGB, Bilanzfälschung gemäß § 163a StGB), Umweltdelikte (z.B. das vorschriftswidrige Beseitigen von Sondermüll im Sinn der §§ 181b, 181c StGB) oder Korruptionsdelikte (etwa Anfüttern eines Amtsträgers im Sinn der §§ 306, 307b StGB) in Betracht. Damit die Straftat der Sphäre des Unternehmens zugeordnet wird, muss die Tat entweder zu Gunsten des Verbandes begangen worden sein oder müssen durch die Tat Verbandspflichten verletzt worden sein. Aufgrund der weiten Auslegung von zu Gunsten des Verbandes gibt es in der Praxis nur wenige Fälle, in denen die Tat eines Entscheidungsträgers bzw. Mitarbeiters im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit keines dieser Merkmale aufweist.

Unternehmensstrafrechtliche Risiken in der COVID-19-Krise

Die COVID-19-Pandemie stellt Unternehmen zweifellos vor zahlreiche Herausforderungen. Wie aktuelle Erfahrungen zeigen, reichen diese bis in das Unternehmensstrafrecht: Prominentes Beispiel in Medienberichten ist der (angebliche) Missbrauch der Corona-Kurzarbeit. Unternehmen werden verdächtigt, Arbeitsaufzeichnungen zu fälschen, um in den Genuss von Förderungen zu gelangen. In solchen Fällen drohen nicht nur finanzstrafrechtliche Konsequenzen (hinsichtlich Lohnsteuer bzw. Lohnnebenkosten), sondern auch eine Strafbarkeit wegen u.U. qualifizierten Betrugs (§§ 146 ff StGB). Diese kann zudem Grundlage einer Verbandsverantwortlichkeit sein, da ein solches Vorgehen in aller Regel zu Gunsten des Unternehmens gewirkt hat bzw. Pflichten des Unternehmens verletzt werden.
Auch Körperverletzungs- und Gemeingefährdungsdelikte geraten aufgrund der aktuellen Pandemie in den Fokus: Hält ein Unternehmen entgegen der derzeitigen Maßnahmen oder ohne Erlass entsprechender betriebsinterner Schutzvorschriften seinen Betrieb aufrecht und kommt es dadurch zur Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers, könnte dies als Körperverletzung (§§ 83 f, 88 StGB) oder Gefährdung von Menschen
durch übertragbare Krankheiten (§§ 178 f StGB) geahndet werden. Hervorzuheben ist, dass bei diesen Delikten bereits leichte Fahrlässigkeit ausreicht; der Arbeitgeber muss daher keine positive Kenntnis von der Infizierung eines Mitarbeiters haben. 
Schließlich ist angesichts der wirtschaftlichen Tragweite der COVID-19-Pandemie darauf hinzuweisen, dass die Gläubigerschutzdelikte unverändert anwendbar sind, also insbesondere die Ausdehnung der maximalen Frist für die Stellung eines Insolvenzantrags von 60 auf 120 Tage (BGBl I Nr 16/2020) keine Änderung der Strafbarkeitsvoraussetzungen nach sich gezogen hat. Bei Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit dürfen daher etwa keine Zahlungen an einzelne Gläubiger (z.B. Arbeitnehmer, Sozialversicherungsträger oder Finanzamt) erfolgen, weil dies als Begünstigung eines Gläubigers (§ 158 StGB) geahndet werden könnte. Auch in der aktuellen Krise sind Geschäftsbücher gewissenhaft zu führen; das Unterlassen einer derartigen Dokumentation kann, als kridaträchtige Handlung im Sinn des § 159 StGB qualifiziert werden.

Zusammenfassung

Die aktuelle COVID-19-Pandemie und die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen bergen auch aus strafrechtlicher Sicht Risiken sowohl für die handelnden Entscheidungsträger und Mitarbeiter als auch für Unternehmen selbst. Umso mehr ist daher nicht nur die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sorgfältig zu bewerten, sondern sind auch bei Aufrechterhaltung oder Wiederöffnung von Betrieben  Schutzvorschriften zu erlassen, um die Verbreitung von COVID-19 und ein damit einhergehendes Strafbarkeitsrisiko zu vermeiden.